Bericht |

Eine Veranstaltung mit Menschen!

Lisa

Beim NRW-Slam in der Stadthalle Bielefeld traten acht Slamer*innen gegeneinander an, um den Titel "NRW-Meister*in 2021" zu erlangen. Ein Abend mit Themen wie Sexismus im Alltag, Rassismus, Hürden meistern, Liebe und ostfriesische Mythologie.

 

 

 

 

 

Du weißt es ist 2021, wenn schon allein das eine Sensation ist: Eine Veranstaltung mit Menschen. Aber natürlich hat das NRW-Slam-Finale 2021 am 16.10.2021 noch viel mehr zu bieten als die bloße Ko-Existenz von Homo Sapiens. Wie die Moderatoren Marc Schuster und Niko Sioulis ankündigen, werden bei dieser Veranstaltung mit Menschen (!!) acht Kandidat*innen um den Titel NRW-Slammeister*in 2021 kämpfen.

Am Vorabend haben sich diese acht Kandidat*innen im Halbfinale gegen 12 andere Slammer*innen im Bunker Ulmenwall durchsetzen können. Im NRW-Slam-Finale in der Stadthalle treten sie in Vierer-Gruppen gegeneinander an. Die drei besten gehen dann letztlich in ein Stechen. Im Publikum sitzen zehn Auserwählte, die Punkte von 1-10 vergeben können.

Es ist eine gemütliche Atmosphäre, die von Scheinwerferlicht in Rot- und Blau-Tönen untermalt wird. Die Zuhörer*innen wurden von einem der Sponsoren gut versorgt: Auf jedem Stuhl wartet eine großartige Tüte mit Dr.Oetker-Produkten auf das Publikum: unter anderem Backmischungen und eine Tüte, auf der “Keks” steht, aber kein Keks drin ist (hier irgendein Geräusch der Empörung einfügen). 

Bevor es mit den eigentlichen Kandidat*innen losgeht, stimmt FLORIAN WINTELS musikalisch mit Untermalung seiner klein geratenen Gitarre ein, die laut seiner Aussage trotz Gerüchten “keine Kindergitarre” ist. Mit sanfter Stimme singt er “Lügen darf man nicht sagen” und ein Lied über den Sinn des Lebens namens “Fernseher” und hat damit ein lachendes Publikum auf seiner Seite. Wie das bei einem Slam so ist, geben sich humorvolle und ernste Beiträge die Klinke in die Hand, im Fall von JANA GOLLERS Beitrag öffnet sich die Tür zu einem Umzug-Szenario. Sie erzählt von Möbeln voller Erinnerungen mit verschlossenen Schubladen, Inhalten, die einem erst wieder einfallen, wenn man danach gefragt wird. Der Beitrag ist voller Symbolik, JANA GOLLER spielt mit Redewendungen, Bildern und setzt theatralische Gesten ein. ALINA SCHMOLKE schließt mit einem ruhigeren Beitrag über Sexismus im Alltag an, für den sie sich nach ihrer Aussage spontan entschieden hat, weil es ihr sehr wichtig ist, das Thema anzusprechen. Auch ABDUL KADER CHAHIN thematisiert Sexismus aus seiner Perspektive “als harter Mann, der gerne Mandalas malt” und wie es ist, immer wieder vor Hürden zu stehen. Seine Message, sich diesen Hürden zu stellen und seinen eigenen Weg zu gehen, bringt er in eindrucksvoller Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Humor rüber. Auch PAUL BANK regt in seinem Beitrag über Einsamkeit aus der Perspektive eines jungen und eines älteren Menschen zum Nachdenken an und macht deutlich, dass Einsamkeit nur dann schön ist, wenn sie selbst gewollt ist.

 

Nach einer Pause und einem Wiedersehen mit FLORIAN WINTELS startet in der zweiten Runde MORGAINE PRINZ mit ihrem Beitrag darüber, wie schwierig es manchmal ist, “feministische Theorie und Praxis in Einklang” zu bringen. Über den Dingen zu stehen ist nämlich laut ihr manchmal gar nicht so leicht und das ist okay, es muss einem laut ihr nicht alles egal sein, sondern man kann auch mal sagen “Ja fuck. Ist so.” Ein ganz persönlicher Beitrag kommt von JOHNNY, der herzerweichend beschreibt, wie sich ein kleiner Gedanke, bestehend aus vier Worten, in seinem Gehirn den Weg zum Sprachzentrum bahnt - “ich liebe dich, Anna” haucht JOHNNY am Ende ins Mikro. Ganz und gar nicht hauchend tritt JULIUS ESSER auf, der lautstark und mit großen Gesten darstellt, was ein Gedicht für ihn bedeutet - nämlich das Herz zu berühren. Die Runde wird durch eine Einführung in die ostfriesische Mentalität durch JANN WATTJES und seinen Text “Die Beerdigung” ergänzt. Den Beitrag widmet er seiner Oma, deren Beerdigung in ihrem Beisein schon einmal vorgefeiert wurde quasi - laut ihm in Ostfriesland völlig normal. Denn Beerdigungen erst zu feiern, wenn die Leute schon tot sind, “ist doch voll traurig”. Mit diesem Text katapultiert sich JANN WATTJES ins Stechen, genau wie JULIUS ESSER und ABDUL KADER CHAHIN dort ihren Platz finden. 

 

Nach einem eher humorvollen Text wie dem von JANN WATTJES haben es ernste Texte erfahrungsgemäß eher schwer, beim Publikum anzukommen. Doch nicht so der Beitrag von ABDUL KADER CHAHIN. Sein Text namens “Musik” erzählt mit Hilfe von Songzitaten darüber, wie er Rassismus im Alltag erlebt - wie es ist, in ein Land zu kommen, in dem einem mit Hass begegnet wird; verstehen zu wollen, warum Menschen Angst haben; sich immer wieder behaupten zu müssen. Seine Erfahrungen gehen direkt ins Herz und hüllen den Saal in betroffenes Schweigen, das durch tosenden Applaus am Ende des Auftritts gebrochen wird.

Im finalen Text von JULIUS ESSER erzählt dieser, dass er sich früher nicht vorstellen konnte, dass die Menschheit wirklich so blöd ist und die Erde kaputt macht und er jetzt doch seine Mitschuld daran erkennt. Sein abschließender Satz “wenn man nicht weiß, wie man etwas repariert, sollte man aufhören es kaputt zu machen” könnte gerade jetzt kaum wahrer sein.

 

Das Stechen wird durch JANN WATTJES abgeschlossen, der auf dem Dachboden einen Marder vermutet. Marder sind in der ostfriesischen Mythologie eine große Sache, lehrt JANN WATTJES. Doch er findet etwas Anderes - Björn Höcke kauert auf dem Dachboden. Ahnungslos, was man mit so einem Höcke auf dem Dachboden machen muss, versucht JANN WATTJES mit dieser Situation klarzukommen und warnt, dass man gut aufpassen muss, dass Marder sich nicht ihre Wege durch die Gesellschaft fressen. Mit diesem Text macht JANN WATTJES das Rennen und ihm wird feierlich der ‘Pokal’ in Form einer Whisky-Flasche überreicht. Dafür dürfen noch einmal alle Teilnehmenden auf die Bühne kommen und knuddeln sich gegenseitig - ein ungewohntes Bild: Menschen, die sich anfassen! Mit diesem fröhlichen Abschluss geht der NRW-Slam-Abend zu Ende, der gefüllt war mit wichtigen Themen, die es verdient haben, angesprochen zu werden und vor allem auch ganz viel Freude an Texten und Musik.